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Kommentar: Sind Twitter und SMS eine Gefahr für die deutsche Sprache?

Freitag, 21. Dez. 2012 13:44 - [tj]

Verkümmert die deutsche Sprache durch Twitter, SMS und die neuen Techniken?

Wie der Heise-Verlag berichtet, hat sich der Rechtschreibrats-Vorsitzende Hans Zehetmair besorgt über die Entwicklungen in der deutschen Sprache gezeigt. Dabei ging er vor allem auf die neuen Techniken wie SMS und Twitter ein. Zehetmair zufolge werde die deutsche Sprache immer weniger gepflegt und verkomme zu einer "Recycling-Sprache". Zudem werde sie immer mehr verkürzt und vereinfacht und verliere ihre Kreativität.

Besonders betroffen sei von dem Sprachverfall – wie könnte es auch anders sein – die junge Generation.  Viele junge Menschen hätten aufgrund von Twitter und SMS ein lediglich simples Vokabular vorzuweisen. Dabei sei nicht die moderne Technik an sich ein Problem, sondern die Wirkung dieser auf junge Menschen. Als Bild schwebt ihm dabei eine Gruppe Personen vor, die sich alle nur noch mit ihren Smartphones beschäftigen, anstatt aktiv miteinander zu sprechen.

Und weiter verbildlicht: Sprache dürfe nicht zu einem dünnen Gerippe verkommen, sondern müsse wie ein Schmuckstück behandelt und mit Adjektiven ausgestattet werden. Kinder sollten zudem wieder mehr Gedichte und Bücher lesen um die Schönheit der Sprache zu erkennen. Mit der Sprache sei es wir bei einem normalen Handwerk. Nutze man es nicht regelmäßig, verlerne man es mit der Zeit.

Steht es um die deutsche Sprache tatsächlich so schlecht?

Doch steht es wirklich so schlimm um die Sprache? Während Herr Zehetmair bei einigen Dingen mit Sicherheit ein Gefühl angesprochen hat, dass in breiten Mengen der Bevölkerung existiert, muss man zuallererst einmal genauer differenzieren. Das von ihm aufgeführte Beispiel, der verkümmernden Kommunikation durch Menschen, die nur mit ihrem Smartphone in der Ecke sitzen hat schon einmal nichts mit dem Gebrauch der Sprache an sich zu tun, sondern mit dem Gebrauch der Technik. An dieser Stelle würde ich Herrn Zehetmair auch zustimmen dass sich hier eine Veränderung auftut, allerdings ist das weniger ein Problem der Sprache, sondern vielmehr ein Problem in der Sozialisation.

Doch auch über diese Argumentationsschwächen hinaus muss man sich die Frage stellen, ob die Sicht von Herrn Zehetmair auf die Sprache nicht zu eingegrenzt ist. So erfüllt die Sprache nicht nur die Funktion in Gedichten, sondern Sprache muss in zahlreichen Sprachspielen funktionieren und dabei vor allem auch zur alltäglichen Kommunikation dienlich sein. Und so, wie sich die Kommunikationswege ändern, so ändert sich eben auch die Ausdrucksweise. Dies ist aber viel weniger ein Zeichen des Sprachverfalls, sondern ein Zeichen dafür, dass die Menge der Menschen aktiv an der Sprache teilnimmt und sie die neuen Gegebenheiten in ein neues Sprachspiel fassen.

Die Sprache stirbt dadurch also nicht, sondern sie wird - sogar im Gegensatz zu den Warnungen - am Leben erhalten. Latein ist keine tote Sprache, nur weil sie nicht mehr als eine Landessprache dient, sondern weil sie nicht mehr verändert, erweitert und angepasst wird. Deutsch hingegen ist eine lebendige Sprache, bei der jeder der sich ihrer bedient, an ihrem Wandel mitwirkt.

Sprache besitzt viele Facetten

Die Gefahr für die deutsche Sprache geht also weniger von Technik und Fortschritt oder SMS und Twitter aus, sondern von der beengten Sicht, die Sprache könne nur in der Form existieren, wie sie auch in der Vergangenheit existent war und dann auch nur in dem engen von Herrn Zehetmair beschriebene Rahmen.

Mit SMS, Twitter und Co. sind neue Ansprüche an die Sprache entstanden und genau diesen werden die neuen Sprachspiele gerecht.

Abgesehen davon, gab und gibt es schon jetzt zahlreiche Sprachspiele abseits der "Netzsprache", die der deutschen Sprache vielleicht weit mehr schaden, als SMS und Twitter. Oder möchte jemand ernsthaft behaupten, Juristenkauderwelsch, Politikergeschwätz oder die gewählte Sprache in AGBs und Verträgen sei eine erstrebenswerte Sprachform? Eine Sprachform, in der ich Texte zehnmal lesen muss, um sie zu verstehen kann nicht besser für das Deutsche sein, als die zumindest verständliche SMS-Form.

Zu guter Letzt scheint Herr Zehetmair auch schlicht vergessen zu haben, dass dank der neuen Medien und eben auch aufgrund von Twitter und SMS so viele Menschen wie nie zuvor aktiv an einer geschriebenen Kommunikation teilnehmen. Das der Herr Zehetmair dabei den Eindruck hat, die Sprache verkomme, liegt also vielleicht auch einfach daran, dass nicht mehr nur die Elite des Landes im schriftlichen Ausstauch steht, sondern so viele Bürger wie noch nie. Dass dabei auch mehr Sprachschwächen zu Tage kommen erscheint mir zumindest völlig normal und man sollte den neuen Techniken so gesehen eher dafür danken, diejenigen zur schriftlichen Kommunikation gebracht zu haben, die zuvor vielleicht nie daran teilgenommen haben.

Schwache Prämissen, sinnvolle Empfehlungen

Um eines noch klarzustellen. Ich halte lediglich die Argumentation und die Begründung von Herrn Zehetmair für inkonsistent. Die daraus resultierende Empfehlung, nämlich dass eine aktive Auseinandersetzung mit der Sprache benötigt wird und es nicht schaden kann, ein gutes Buch zu lesen, dem würde ich sofort zustimmen. Doch zum einen ist diese Einsicht nichts wirklich Neues und zum anderen benötigt es für diese Einsicht meiner Meinung nach auch keinen panikartigen Darstellungen der Sprachspiele "SMS-Sprache" oder "Netzsprache".  Diese ersetzten die bisherige Sprache auch nicht, sie ergänzen sie um neue Facetten. Dass dabei auch einige Fragmente in andere Sprachspiele eindringen, ist so normal wie der Sonnenschein in der Wüste.

"tltr? sry ;)"
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