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Was ist Elektromigration?

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Her(t)zinfarkt

Oder, was ist eigentlich Elektromigration?

Live fast, die young. So könnte das Motto einer neuen Generation lauten, einer Generation von Prozessoren - jenen nämlich, deren kleinste Leiterbahnstrukturen rund tausendmal dünner sind als ein menschliches Haar. 0,13 Mikrometer sind zur Zeit "state of the art", doch noch kleinere Strukturgrößen werden bereits im Labor erprobt. Offenbar lassen sich diese Prozessoren richtig gut übertakten, doch währt die Freude an den hohen Hertzzahlen oft nicht lange.

So beklagen nicht wenige einstmals stolze Overclocker in Foreneinträgen den Verlust ihrer heiß geliebten Siliziumherzen - vor der Zeit dahingerafft, aus heiterem Himmel, so will es scheinen. Von Elektromigration ist zuweilen die Rede. Doch was ist das für eine Krankheit, die fast ohne Symptome dem Prozessor den Garaus macht?

Elektromigration

In einfachen Worten

Im Grunde genommen steckt die Antwort schon im Namen. Einem Kunstwort, zusammengesetzt aus den Begriffen Elektron und Migration. Nun ist hiermit jedoch weniger die Wanderschaft (Migration) der Elektronen gemeint - ohne die freilich kein Rechner seinen Dienst verrichten könnte -, sondern vielmehr die unfreiwillige Reise der Metallatome, aus denen die Leiterbahnen des Prozessors bestehen. Da klaffen auf einmal Lücken im Material auf, während es sich wiederum an anderer Stelle häuft, sodass es zu Kurzschlüssen zwischen den eng benachbarten Leiterbahnen kommen kann.

Aber was veranlasst die Atome beziehungsweise Ionen ihre angestammte Ruheposition im Metallverbund zu verlassen? Nun, hierfür zeigen sich die Elektronen verantwortlich, die in großer Zahl pro Querschnittsfläche das Metall durchströmen. Man kann sich das wie bei einem Fluss vorstellen, der in seinem Flussbett fließt wie der elektrische Strom durch die Leiterbahn. Je mehr Wasser strömt, um so größer dessen Gewalt, desto mehr Sand wird mitgerissen. Und so wie ein Fluss sein Bett verändert, indem er an bestimmten Stellen besonders viel Material abträgt und es an anderen Stellen wieder ablagert, so bewirken auch die Stöße der Elektronen, dass Metallatome ihren Platz verlassen und sich andernorts niederlassen.

Und noch etwas sorgt für Bewegung: Das elektrische Feld durch die angelegte Spannung. Im Bild des Flusses entspricht das dem Gefälle. Denn sicherlich lassen sich Steine und Geröll bereitwilliger bergab transportieren als bergauf. Bei der Elektromigration gibt es jedoch eine Besonderheit: Denn hier ist das elektrische Gefälle - das Potenzial - für Elektronen und Ionen des Metalls wegen der unterschiedlichen Ladung genau entgegengesetzt. Während also die Elektronen die Ionen in die eine Richtung schubsen, wollen diese, durch das elektrische Feld getrieben, in die Gegenrichtung. Die Wanderung ist demzufolge eine Überlagerung beider Bewegungen.

Die folgenden beiden Bilder wurden uns freundlicherweise von dem IFW Dresden zur Verfügung gestellt und zeigen je eine 8µm breite Leiterbahn und den fortschreitenden Effekt der Elektromigration.

Frühes Stadium der EM

Endstadium der EM

Zur Umsiedlung der Ionen kommt es im Übrigen in jedem Metall, jedoch ist der Effekt bei Leiterbahnen mit sehr kleinem Querschnitt besonders stark, da sich hier im Vergleich zu normalen Stromzuführungen sehr viele Elektronen pro Fläche und Zeit hindurchzwängen müssen. Die übliche Taktik von Overclockern, bei Bedarf ein bisschen die Spannung anzuheben, verschlimmert den Effekt noch, denn das dadurch erhöhte Gefälle reißt noch mehr Elektronen mit.

Und noch etwas begünstigt die Wanderung: Eine hohe Temperatur. Denn so wie kochendes Wasser wild spritzt und sprudelt, so werden auch die Elektronen in heißen Leitern weit mehr hin und her gestreut und sorgen so für manche zusätzliche Kollision mit den Ionen des Metalls. Wenn also schon ein Quäntchen mehr an Leistung durch höhere Spannung am Prozessor erkauft wird, so sollten doch wenigstens die Kühlung stimmen.

Damit sind aber längst nicht alle Ursachen der Elektromigration erklärt. Tatsächlich gibt der Effekt Forschern weltweit noch so manches Rätsel auf. So spielt zum Beispiel die Materialbeschaffenheit eine große Rolle. Denn so wie ein Felsbrocken im Fluss die Ablagerung von Sand beeinflussen kann, so wirken sich auch kleine Materialfehler entscheidend auf die Elektromigration aus.

Auch ist längst nicht jedes Metall gleich anfällig: Kupfer zum Beispiel ist diesbezüglich hundertmal resistenter als Aluminium. Auch das beobachtet man in der Natur: Ein Fluss, der in einem Bett aus hartem Gestein fließt, ist längst nicht so launisch wie einer, der durch lockereren Sand fließt und ständig sein Bett wechselt. Genau dahinein setzen die Chipentwickler auch Ihre Hoffnung: Ein Material zu finden, das möglichst immun gegen Elektromigration ist. Schließlich gewinnt der Effekt zusehends Bedeutung, wenn die Prozessorstrukturen noch kleiner werden.

Ganz ohne die unliebsamen Wanderungen wird es vermutlich jedoch nicht gehen. Doch vollziehen sich diese bei normaler Benutzung eines Prozessors so langsam, dass es über Jahre keine Probleme geben sollte. Wer jedoch allzu hoch übertaktet und auf mangelhafte Kühlung vertraut, der darf sich über ein frühzeitiges Ableben seines Prozessors nicht wundern.

Weiterführende Links:

Arbeitsgruppe Gefügeanalyse: Elektromigration an Aluminium- und Kupfer-Leitbahnen und der Einfluss der Kornorientierung

Computer Simulation Laboratory: What is electromigration?

Thorsten Krome, Redakteur bei wissenschaft-online
 

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