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Karlos Kolumne


Alle reden von der Green-Card,
 ich auch

Um es eindeutig klar zu machen: ich bin politisch so etwas wie ein rotgrünblauschwarzer Überall. Wer versucht mir braune Gedanken nachzusagen liegt garantiert komplett falsch. Wenn ich hier meine Bedenken gegen die Green-Card zu Papier bringe dann ist da keine Eifersucht im Spiel sondern Kopfschütteln. Aber der Reihe nach:

Zur CeBit diesen Jahres überraschte unser Kanzler mit der Aufforderung eine Green-Card einzuführen um Fachkräften aus aller Welt den Zuzug nach Deutschland zu ermöglichen. Dabei werden in erster Linie Ost-Europäer und Inder angesprochen, die die Engpässe in der deutschen Industrie überbrücken sollen. Auf den ersten Blick eine Idee, die den Unternehmen hilft ihre Stellung im Markt zu behaupten. Faktisch handelt es sich bei dieser Regelung allerdings bestenfalls um eine Nebelkerze, die den Blick auf die echten Probleme verstellt.

Aus der Sicht der Regierung

Mit der Green-Card zeigt man, dass man als rote Regierung ein offenes Ohr für die Industrie hat und an schnellen Lösungen interessiert ist. So die offizielle Lesart. 

Falsch!

Man gesteht ein, dass man es nicht schafft über seinen Schatten zu springen und Regularien in einer Form zu verbessern, die mittelfristig eine echte Erleichterung bringen würde.

Beispiel 1 Die Ausbildungsgänge

Jeder Student, Ausnahmen bestätigen die Regel, weiß, dass das Erlernte in der Wirtschaft nur bedingt verwendbar ist. Nur wer zusätzliche Fächer belegt oder sich privat weiterbildet kann einen angebotenen Job auch nahtlos ausfüllen. Die Lehrpläne selbst sind oft hoffnungslos veraltet. Ein Austausch zwischen Industrie und Ausbildungsstelle findet fast schon in der rechtlichen Grauzone statt. Ein Professor ist ein Staatsbediensteter, der viel Geld verdient, aber sich von der Industrie fern halten sollte. Wie gesagt Ausnahmen bestätigen die Regel. 

Ein weiteres Problem bei der Ausbildung ist die Breite des vermittelten Wissens. Menschen, die Windows NT basierende Netzwerke betreuen sollen können in der Ausbildung (je nach Lehranstalt) wegen schlechter Noten in Cobol durchfallen. Den Arbeitsmarkt erreichen sie nur durch die Hintertür. Ein Diplominformatiker ist aber trotzdem nicht zwingend ein guter Systemadministrator. Und so weiter und so weiter. Wieder fehlt den Ausbildungsgängen der Bezug zur Realität. Beispiel Webdesigner. Welcher Studiengang bildet für diesen Beruf aus, OHNE überflüssigen Ballast aus der Papierbearbeitung zu vermitteln, der letztlich dazu beitragen kann, dass ein Student den Abschluss nicht erreicht.

Der Staat wäre also gut beraten, die Ausbildungsgänge zu überprüfen und auf die Anforderungen der Industrie hin zu modifizieren. Wahrscheinlich geschieht das auch. Der zuständige Ausschuss wird im Jahre 2008 die ersten Entwürfe vorlegen, die dann 2010 ins Parlament eingebracht werden, vom Bundesrat aber abgelehnt werden, weil es sich bei der Bildung immer um die Zuständigkeit der Länder handelt. Aber im Jahre 2012 werden wir sicherlich endlich ein Regularium haben, dass keiner versteht. Aber es wird aktuell sein, wenn man die Zustände des Jahres 2000 als realistisch bezeichnet.

Beispiel 2 Geld

Spezialisten der Branche verdienen Geld, viel Geld. Auf dem Lohnstreifen stehen in der Regel Summen von um und bei 10.000,-- DM Brutto pro Monat. Für den Arbeitgeber heißt das etwa Kosten von 14.000,-- DM zuzüglich der Arbeitsplatzausstattung. Ein externer Berater, der innerhalb eines Unternehmens ein Projekt zu bewältigen hat, könnte jetzt theoretisch mit der Aussicht auf 100.000,-- DM für das Projekt gewonnen werden. Wenn er nach einem halben Jahr fertig ist, dann hat er gut verdient, wenn er ein Jahr braucht hat er eben Pech gehabt. Für den Auftraggeber wäre die Sache auf jeden Fall lohnend. Geht aber nicht. Der Berater wäre dann nämlich scheinselbständig mit allen Folgen für den Auftraggeber und den Auftragnehmer. Eine Lockerung der Regelungen zur Scheinselbständigkeit, würde an dieser Stelle eine erhebliche Entlastung der Situation bewirken. Aber da ist wieder der Schatten über den man springen müsste.

Beispiel 3 Der echte Bedarf

Die aktuellste Ausgabe der c´t hat ein weises Wort wiederholt, dass die Antwort auf die Frage nach dem Bedarf garantiert als Lüge dastehen lässt: 2 gute Programmierer können nicht durch 100 durchschnittliche ersetzt werden.

Unsere Regierung stellt sich die EDV scheinbar als Werkshalle wie bei VW vor. Die Zahl der Maschinen und der Schichten bestimmt über die Zahl der Angestellten. Dadurch ist auch eindeutig festgelegt, wie viel produziert werden kann.

In der EDV sieht die Sache komplett anders aus. Nur ein kleines Beispiel aus unser Aller täglich Leben: Wenn ein Rechner abstürzt, dann kann das eine ganze Reihe von Ursachen haben. Den echten Verursacher und die passende Lösung auf Anhieb zu finden ist Erfahrungs- oder auch Glücksache. Wer behauptet, jeden Rechner innerhalb von 20 Minuten wieder in Gang zu bringen lügt genauso wie derjenige, der behauptet mindestens einen Tag zu brauchen. Wie viele Mitarbeiter brauche ich also um 100 defekte Rechner innerhalb von 24 Stunden wieder in Fahrt zu bringen? Mit wirklicher Sicherheit kann diese Frage nicht beantwortet werden. Statistische Mittelwerte können helfen, sind aber immer überholt, wenn, was in der EDV üblich ist, alle zwei Jahre ein neues Produkt auf den Markt kommt.

Wenn ich mich jetzt hinstelle und 2 Millionen Green-Cards verlange, dann ist der Bedarf kein Argument um diese Forderung abzulehnen. Eine echte Analyse, die mich widerlegen könnte gibt es nämlich nicht. Selbst wenn, dann wäre sie immer nur eine Momentaufnahme.

Soviel zu den staatlichen Versäumnissen. Die Liste ist bei Weitem nicht vollständig. Die Möglichkeiten ein Problem bei den Arbeitskräften zu lösen sind vielfältig.

 

  Die Industrie und Verbände 

 

 

 

 

 

 

Das ist Karlo!

Markus Pfeffinger alias Karlo ist ein "Insider" der IT Branche, der über eine langjährige Berufserfahrung und Hintergrundwissen verfügt. Seine Kolumnen haben in der Branche einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt. Unter anderem schrieb er für "Toms Hardware Guide".

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