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Kolumne: Es liegt auf der Hand - 5 Zoll sind genug

Samstag, 26. Jul. 2014 23:36 - [jm]

Mit den Trends verhält es sich wie mit einem Pendel, sie schwingen von einem Extrem ins andere. Auf eine langen Phase der Miniaturisierung von Handys folgt nun die Maximierung von Smartphones. Doch der Bogen ist überspannt, es ist Zeit, das Pendel wieder zurückzuschubsen.

Da saßen wir nun in den 90er Jahren im Klassenzimmer. Gerade waren Mobiltelefone im Mainstream angekommen und jeder, der trendy sein wollte, musste eines haben. Nokia, Siemens, Motorola, Sagem - dort entsprangen die begehrenswerten Marken jener Zeit. Keiner dieser Hersteller hat die Revolution der Smart-Geräte überlebt, einige räumten das Feld schon weit zuvor.

Die Schlachten um das coolste Mobiltelefon wurden damals wie heute entlang der Spezifikationen geschlagen: Wer hatte ein Farbdisplay? Wer konnte Klingeltöne herunterladen? Wer konnte (später) mp3-Dateien hören? Und wer hatte (noch später) das 7110, die real-world Reinkarnation der Mobilfunke von "Neo" aus dem ersten Teil der Matrix-Trilogie?

Infrarot, Tri-Band, WAP, Kompaktheit. Dank notorisch ausgeschöpfter Prepaid-Guthaben und mangels Auslandsreisen oder der Notwendigkeit zur Datensynchronisation hatten, bis auf eine, alle diese Eigenschaften keinerlei reelle Bedeutung für uns Jungspunde. Dennoch war haben besser als nicht haben, so wie bei den Autoqaurtetts, mit denen wir schon in der Grundschule unsere Kräfte maßen.

Doch heute, da sind wir erwachsen. Natürlich, wir messen uns immer noch. In den Quadratmetern unserer Behausung und ob es sich dabei um unser Eigentum handelt. Überhaupt: In welcher Gegend diese Behausung steht. Und natürlich mit unseren Autos, so schließt sich der Kreis zu den Anfängen mit besagtem Kartenspiel, als wir gerade Zahlen von Buchstaben zu unterscheiden lernten.

Einige von uns messen sich auch noch gerne an ihrer IT-Gerätschaft: Die fetteste Glotze, den PC mit am meisten Schmackes und natürlich: Zeig mir dein Smartphone und ich sage dir, wer du bist, was du hast und was du kannst.

Überhaupt: Diese kleinen informationtechnologischen Allroundwaffen, die Jedermann und Jedefrau heutzutage so selbstverständlich am Körper trägt wie Capt'n Kirk seinen Universaltranslator an der Brust, diese elektronischen Helferlein verraten uns auf den ersten Blick, mit wem wir es zu tun haben.

iPhone? - Opfer! Samsung? - Trendhure! Blackberry? - Schuss nicht gehört! Was mit Microsoft? - Verdammter Hipster! Hülle? - Schussel! Rosa Hülle? - Schlam... (nein, das verbietet der Anstand)! Gesplittertes Display? - Haaahaaaahaahaahahahahahahahaha... Depp!

Doch so viel uns die jeweiligen Taschencomputer über unser Gegenüber auch zu verraten in der Lage sind, im Erscheinungsbild, der Marke und für diejenigen "in the know" die technischen Specs, eines zählt nicht dazu: Die Größe.

Denn seit Jahren versucht uns die Industrie größere Displays unterzujubeln. Um nicht zu sagen: reinzuwürgen. Als meine Wenigkeit vor Jahren noch ob der Diagonalen des Wunschmodells von 4,3 Zoll kräftig schluckte und den Hosentaschen präventiv mit dem Zollstock zu Leibe rückte, hoffte ich, das Ende der Fahnenstange sei damit erreicht.

Aber Pustekuchen! Akutell bewegen sich die technisch begehrenswerten Modelle sämtlicher Hersteller weit jenseits der 5-Zoll-Marke.

Praktikabel ist das aus der Perspektive einer Hosentasche nicht (vielleicht für Basketballprofis, aber die sind nicht repräsentativ). Hochauflösende Displays mit bis zu höchstens 5 Zoll wären und sind leicht zu realisieren - Stichwort Xiaomi Mi3. Die Einhändige Bedienung ist jenseits der 5 Zoll Marke faktisch ausgeschlossen (und nein, die paar menschlichen Exemplare mit Kolchosenpratzen sind wiederum auch nicht repräsentativ). Und je größer, desto unhandlicher, desto höher das Risiko des versehentlichen aus-der-Hand-gleiten-lassens; und wer steht schon gerne als Depp da?

Worum geht es also bei der Maximierung der Displaygrößen? - Ganz sicher nicht um die Bedürfnisse von Jedermann oder Jederfrau, die zeitgemäße Technik in der Hand (Singular!) halten wollen. Auch nicht um das im Grunde zweitwichtigste Kriterium bei Smartphones, nämlich die Akkulaufzeit (größeres Display = mehr Energiebedarf = größerer Akku). Baggypants sind keine Lösung, denn dieser modische Trend ist dermaßen Neunziger wie die einleitenden Worte dieses Pamphlets. Und Tablets, mit denen der ein oder andere aus unerklärlichen Gründen eine Produktivität in Einklang zu bringen vermeint, sind ohnehin bereits ab 7 Zoll in vielfältiger Art und Weise erhältlich.

Es gibt keinen rational ersichtlichen Grund, Smartphones mit mehr als 5 Zoll Displaygröße für begehrenswert zu halten. Sie werden nur gekauft, weil ihre technischen Spezifikationen denen ihrer jeweilgen "Mini"-Pendants weit überlegen sind und die Preisdifferenz in der dekadenten Wohlstandsgesellschaft nicht den Ausschlag gibt. Weil der Teufel in der Not eben Fliegen frisst!

Karteneinschub und wechselbarem Akku, mit Aluminiumbody, Full HD Camera (spart ruhig gerne die Front Camera raus), HSDPA und allen sonstigen zeitgemäßen Selbstverständlichkeiten, ABER: Maximal 5 Zoll Display. Ich wäre bereit, bis zu 350 Euro ohne Vertrag zu investieren. Was ich nicht brauche sind NFC, 5 GHz Wifi (wobei die Betonung auf 5 GHz liegt) irgendeine speziell verbastelte Frankenstein-Version von Googles Android (Cyanogen nehme ich gerne). Ich habe so den Verdacht, mit dieser Meinung einen Nerv zu treffen.

Wenn ich eines von der Quelle der mir anerzogenen Konsumgeilheit gelernt habe, dann dieses: Beim Autoquartett war auch nicht immer der größere Wert besser. Und wir spielten es einhändig. Ginge das? - Danke!

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